Narziss mit Goldmund


Die Ikone des modernen Bobo-Tums, Charlotte Roche, beglückt die Menschheit wieder mal mit einem Buch. Vorab hat sie dem Spiegel ein Interview gewährt. Ob man nun doch Stoßgebete zum Himmel schicken statt Schoßgebete lesen sollte?

Ich mag Charlotte Roche nicht. Damals nicht, als sie noch beim Musikfernsehen war, und Moderatoren einfach Freaks sein mussten, weil in den Neunzigerjahren Freak sein endlich salonfähig gemacht wurde. Später nicht, als sie ihre eigene Talkshow bekam. Und auch danach nicht, als sie irgendwie plötzlich bei ARTE (oder war’s 3Sat? Oder ZDFneo? …) landete und Interviews mit anderen Freaks führte.

Ich mochte sie nicht mal, als die Geschichte vom tragischen Tod ihrer Brüder durch die Gazetten wanderte. Charlotte Roche, das war für mich die schlechte Kopie von Sarah Kuttner, das tätowierte Riot-Kind aus gar nicht so schlechten Verhältnissen, das sich selbst stets furchtbar lustig findet und mit lauwarmem Provokations-Geplänkel keinen normalen Menschen für irgendwas begeistern kann, ausser für ihre eigene Person. Der Name Roche stand für mich immer für all die negativen Dinge, die ich den Großstadt-Bobos ankreide: zu laut, zu wild, zu konfus, zu aufgesetzt, zu unauthentisch.

Aber perfekt für’s Fernsehen, immerhin. Da konnte sie austeilen. Rumpöbeln. Auf sämtlichen TV-Talk Couchen Deutschlands rumfläzen und die eigene Großartigkeit zelebrieren, bis zum Erbrechen – und zum Applaus des Publikums, entfacht durch die seltsam kritiklose Verehrung dieser Frau durch all ihre Gastgeber. Charlotte Roche war schon damals keine 20 mehr, sie hätte es sein lassen können. Einen Bauernhof kaufen. Heiraten. Hündchen aus dem Tierheim retten. Eine Thomas D-Karriere eben.  Denn irgendwann, wenn man sein Sitzfleisch lang genug auf Couchen trainiert und in Kameras gemotzt hat, gehört man in der Society wie im Fernsehen bald zum Alteisen. Rente ist doch was Schönes! Aber Miss Roche ist höchst narzisstisch veranlagt, und aus diesem Grund bescherte sie uns ein Buch, das hier wie dort zu Lande wohl jeder kennt – „Feuchtgebiete“. Ein Titel wie ein Trauma. Ein Titel wie ein Albtraum. Wenn man Roche heißt, dann kokettiert man damit. Skandal ist gut, Skandal ist part of the game, und höchst unappetitliche Erfahrungen zwischen Nabel und Kniekehle verkaufen sich in einer Gesellschaft, die ständig zwischen Neo-Konservativ und Fundi-Grün taumelt. Um das zu erkennen, muss man nicht Charlotte Roche sein. Man muss einfach nur den Fernseher andrehen und sich diversen Ekel-Doku-Soaps ausliefern, um zu verstehen, was den modernen Menschen wirklich in den Bann zieht.

Sei’s drum. Der Erfolg gab ihr Recht. Und Charlotte hat verdammt gerne Erfolg.

Ich mag Charlotte Roche nicht, und deshalb habe ich mich an jeder verdammten Lesung, die sie hielt und über die irgendwo im TV ein Bericht zu sehen war, aufgegeilt. Ich habe innerlich gewütet, und das auch kund getan. Immer. Überall. Gibt es nicht genug echte Schriftsteller, die eine Plattform, die Roche sich nie wirklich suchen musste, dringend notwendig hätten? Gibt es nicht andere, wichtigere Themen als anale Phasen, die es literarisch aufzuarbeiten gilt? Gab es. Aber Sex bleibt Sex, und Sex verkauft sich. Punkt.

Nach dem Hype wurde es still um Miss Roche, und ich schöpfte neue Hoffnung. Und dann verschlug es mich in den Kulturteil einer großen Zeitung, und ich lese folgenden Buchtitel: „Schoßgebete“. Absender der Botschaft: Charlotte Roche. Na, das passt doch, dachte ich mir. Ein provokativer Titel hat ja nicht gereicht. Muss noch gleich einer drauf gesetzt werden. So eindeutig zweideutig, so anrüchtig wie unangenehm, so Roche wie nur geht. Ich hatte also wieder Grund, zu zürnen.

Und als ich gestern Abend erfuhr, dass Madame Roche zu ihrem neuen Buch mit dem Spiegel ein Interview geführt hat, war klar, was als nächstes passieren musste: Spiegel kaufen.

Ich habe das Interview gelesen. Zwei Mal. Ich mag Charlotte Roche immer noch nicht. Aber wenn wirklich sie es war, die dieses Interview gegeben hat, und nicht wieder nur ein Alter Ego, das sich wie ein sterbendes Tier windet, um nicht medial hingerichtet zu werden, dann muss ich meine Meinung über diese Dame wohl ein wenig revidieren. Oder dem Interviewer gratulieren. Oder vielleicht auch beides. Es ist ein seltsames Interview, ein Interview mit einer Frau, die einen Seelenstriptease veranstaltet und ausnahmsweise mal nicht irgendein Pseudo-Gequatsche von sich gibt. Was sie sagt, und wie sie es sagt, klingt menschlich, nicht künstlich. Es klingt ehrlich, nicht aufgesetzt. Es klingt nach jemandem, der dazu stehen kann, was ihn bewegt. Nicht was ihn zwischen Fäkalausdrücken und Fragen nach der Schamgrenze bewegt, sondern was einen jungen Menschen bewegt, der einer zerrissenen Generation angehört. Und der diese Zerrissenheit aufzeichnet, sich selbst seziert, und ja – sich damit auch selbst therapiert. Dieses Interview ist das erste Bild von Charlotte Roche, das nicht die Kunstfigur Roche in den Himmel lobt, sondern den Versuch wagt, ein normales Gespräch mit einem normalen Menschen zu führen. Und ich werde den Eindruck nicht los, dass Madame Roche ein verdammt normales Mädchen ist. Vielleicht hat sie deshalb auch ein verdammt normales Buch geschrieben, eines, das den Freaks nicht freakig genug sein wird und den Spießern jedenfalls zu Porno. Ich habe Schoßgebete noch nicht gelesen. Aber ich werde es lesen. Vielleicht, um meine Ahnung zu bestätigen, dass hier irgendwas in Bewegung geraten ist – im Menschen Roche.

Die einzige Frage, die mich nun da ich um den groben Inhalt des Buches weiß umtreibt ist, warum der Titel etwas verspricht, das er vielleicht gar nicht hält. „Schoßgebete“, das klingt nun mal wie „Feuchtgebiete“. Und es ist doch nicht ein und dasselbe. Wer ein Buch schreibt, um sich selbst zu heilen und so ernste Themen wie Tod, Unterwerfung, Selbstzweifel, Zerstörungswut und Narzissmus darin aufgreift, hat Mut, zu scheitern und Mut, zu erzählen. Ich wünschte, ihre Verleger hätten ihr diesen Gedanken näher gebracht. Vielleicht wäre es dann ein Buch mit einem weniger provokativen, dafür reichhaltigerem Titel geworden.

Ich mag Charlotte Roche nicht. Aber ich schließe nicht aus, sie irgendwann ernsthaft verstehen zu wollen.

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